Unser Technischer Vertriebsleiter für Deutschland, Dr. Matthias Golomb, wurde von Dominik Beschlarz von Chemie Technik über den Einsatz von Robotik in der Abfallwirtschaft interviewt.
Lesen Sie die Diskussion unten.
In welchem Zusammenhang steht für Sie die Robotik mit Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft?
Matthias Golomb: Eine Kreislaufwirtschaft kann nur dann existieren, wenn die verwendeten Materialien wirtschaftlich wiederverwendet werden können. Die Kosten der Materialsortierung sind allerdings oft höher als der Verkaufswert. Hier kommt die Sortierautomatisierung ins Spiel: Sie senkt die Kosten und sorgt für eine konsistente Sortierqualität. Unsere Roboterlösungen ermöglichen es Entsorgungsunternehmen, von einer Sortierung zu profitieren, die kontinuierlich und genauer ist als menschliche Sortierer.
Sie haben mit „Recycleye Vision“ eine KI-gestützte Sortier-Software entwickelt. Wo genau liegen die Unterschiede im Vergleich zu marktbegleitenden Lösungen?
Golomb: Automatisiertes Sortieren ist seit einigen Jahren verfügbar. Die wichtigste Innovation, die wir mit KI einbringen, ist die Fähigkeit, viele Materialien zu identifizieren, die eine Herausforderung für gängige Sortierlösungen darstellen. NIR (Nahinfrarot) zum Beispiel, welches häufig zum Sortieren verwendet wird, kann Schwierigkeiten haben, Materialien wie schwarze Kunststoffe oder Verbundstoffe korrekt zu identifizieren. Ein weiteres Problem ist die Unterscheidung zwischen lebensmittelechten und Standardkunststoffen. Mit KI und einer großen Bilddatenbank ist dies aber möglich, wodurch eine größere Anzahl wertvoller Materialien sortiert werden kann.
Sie arbeiten nicht nur an KI-gestützter Software allein – zusammen mit dem Robotikhersteller Fanuc entwickeln sie Automatisierungslösungen für das Sortieren von Abfallströmen. Wie kam es zu dieser Partnerschaft?
Golomb: Wir sind stolz darauf, für Fanuc UK der exklusive Partner für Robotik für den LVP-Abfallsektor in Großbritannien zu sein. Diese Partnerschaft entstand schon früh, als wir nach einer leichten und reaktionsschnellen Lösung suchten, die ohne großen Aufwand nachträglich an bestehenden Anlagen angebracht werden konnte. Fanuc hat mit uns zusammengearbeitet, um unsere 6-Achsen-Lösung zu entwickeln, die wir heute benutzen, und unser Wachstum zum gegenseitigen Nutzen unterstützt.
Welche Robotertypen werden für das Sortieren von Abfall eingesetzt und warum?
Golomb: Unsere Roboterlösung ist ein 6-Achsen Roboter, der über eine einzigartige Punkt-, Dreh- und Schussfunktion verfügt, die wir speziell entwickelt haben, um Recyclingmaterial schnell und effizient zu sortieren. Dies bedeutet, dass der Roboter in der Lage ist, einen Artikel zu entnehmen und ihn zielgenau in einen von vier vorgesehenen Behältern oder auf eine Seite des Bands zu schießen. Ein Sensor im Greifer erkennt zudem fehlgeschlagene Zugriffe, wodurch verschwendete Wege und Zeit eingespart werden. Diese Flexibilität ist ein Hauptunterschied zu den häufig eingesetzten Delta-Robotern. Ein weiterer Unterschied unseres Roboters zu diesen ist das relativ leichte Design, welches eine Installation auf bestehenden Bändern ohne große Umbauten ermöglicht. Dies spart Zeit und Geld und verursacht vor allem keinen Stillstand der Anlage beim Einbau.
Lassen sich die KI-gestützten Systeme trainieren? Wie gehen diese beispielsweise mit nicht vollständig entleerten Behältnissen wie einer transparenten Ketchup-Flasche um?
Golomb: Unsere KI-Modelle werden auf unserer proprietären Datenbank trainiert, die über eine Milliarde Bilder enthält (Tendenz steigend). Dadurch können wir den Roboter trainieren, Abfallobjekte in vielen verschiedenen Formen zu identifizieren, obwohl sie normalerweise zerdrückt, überlappend und schmutzig sind, wenn sie in einer Sortieranlage ankommen. Dies ist die eigentliche Herausforderung bei der Abfallsortierung für uns: Das Material sieht nicht mehr so aus wie beim Kauf oder Gebrauch durch den Verbraucher. Die KI arbeitet, indem sie die Form und andere Merkmale
Anzeige des Gegenstands identifiziert, unter anderem auch Farbe, wodurch sie in einigen Fällen besser sein kann als NIR Sensoren. Im Fall der Ketchup-Flasche würde diese in unserem Modell als Ketchup-Flasche identifiziert werden, ob mit oder ohne Reste in der Flasche, da von beiden Fällen bereits mehrere Bilder in unserer Datenbank existieren. Zudem werden vor einer Installation mehrere Tausend Bilder des bestehenden Materialstroms aufgenommen, wodurch die Identifikation von auch sehr speziellen Materialien möglich wird.
Kunststoffe werden zunehmend mit digitalen Markern oder Wasserzeichen versehen. Ist Ihre Software in der Lage, auch solche zu erkennen?
Golomb: Wenn ein menschliches Auge solche Markierungen erkennen kann, könnten wir unseren Robotern beibringen, dasselbe zu tun. Tatsächlich konnten wir bereits unter Laborbedingungen Artikel auf Markenebene zum Beispiel mit einer Genauigkeit von 91 % bei Artikeln der Marke Coca Cola identifizieren. Aber das ist etwas, was wir derzeit noch nicht im kommerziellen Maßstab anbieten; eine Zusammenarbeit mit der Verpackungsbranche wäre hier von Vorteil, um eine solche Erkennung zu erleichtern.
Kann die Software Papier-Kunststoff- und Mehrschichtverbunde unterscheiden?
Golomb: Kurz gesagt: Ja. Wir sortieren jetzt erfolgreich mehrschichtige Kartons für unsere Kunden, was in der Vergangenheit schwierig war. Die Herausforderung bestand darin, den Unterschied zwischen einfachen und mehrschichtigen Kartons zu erkennen, aber auch hier sind wir nach intensivem Training unserer KI-Modelle in der Lage, diese zu identifizieren und zu trennen. Bei einer Sortierung von Faserabfällen zum Beispiel, in denen auch Getränkekartons enthalten waren, konnten wir die Reinheit mit unserer Installation von 85 % auf 97 % steigern.
Mit Ruß eingefärbte Kunststoffe werden von NIR von der Sortierung nicht erkannt. Wie kann die KI hier Abhilfe leisten?
Golomb: Neben den bereits erwähnten Stärken von KI im Vergleich zu NIR und der Fähigkeit, farbige Materialien zu erkennen, wird die Erkennung per KI auch nicht durch den unvermeidbaren Staub und Schmutz in Sortieranlagen oder durch Ruß auf dem Material beeinträchtigt. Bei hoher Schmutzbelastung erfordert unser Recycleye-Vision-System allerdings eine minimale Wartung, wie zum Beispiel das wöchentliche Abwischen der Kamera, um korrekte Funktionalität sicherzustellen.
Können Sie mit Ihrer Technologie bioabbaubare Kunststoffe erkennen und aus dem Abfallstrom sortieren?
Golomb: Der biologisch abbaubare Kunststoff ist für uns nicht wirklich das Problem. Unsere KI ist da genau wie ein menschliches Auge: Wenn ein Mensch den Unterschied sehen könnte, dann könnte es unsere Technologie auch und umgekehrt. Solange sich also bioabbaubare Kunststoffverpackungen visuell von herkömmlichen unterscheiden, können wir unsere Modelle darauf trainieren, diese auszusortieren. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, wird eine effiziente Trennung mit der KI schwierig.
Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass bereits beim Produktdesign die spätere Abfallsortierung berücksichtigt wird?
Golomb: Wie bereits zuvor erwähnt: Wenn ein Mensch erkennen kann, um was für ein Material es sich handelt, kann unsere Technologie es auch sortieren und es kann recycelt werden. Insofern ist das Produktdesign für uns von großer Bedeutung für die Effizienz der Abfallsortierung. Um ein für uns schwieriges Beispiel zu nennen: Dosen, die teils aus Kunststoff und teils aus Aluminium bestehen, können zwar erkannt, aber nicht sortiert werden. In letzter Zeit gab es aber auch einige positive Schritte in Richtung einer reduzierten Verwendung von farbigem Kunststoff, zum Beispiel bei PET, was das Recycling erleichtert, da ungefärbte Materialien leichter recycelt werden können.
Im vergangenen Jahr konnten Sie mit Veolia einen namhaften Entsorger im Rahmen von dessen U-Start-Programm vom Einsatz Ihrer Lösungen überzeugen. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus? Golomb: Eine der Haupterkenntnisse ist, dass wir jemanden vor Ort benötigen, da bei einer neuen Technologie an einem neuen Standort schnell unvorhergesehene Probleme auftreten können – was nun meine neue Aufgabe ist. Wir hatten zum Beispiel anfänglich Schwierigkeiten mit der Internetversorgung und mussten auf eine mobile Internetanbindung umsteigen – in Deutschland gibt es aber im Gegensatz zu unseren anderen Standorten nur wenige Anbieter, die unlimitierte Datenvolumen anbieten. Das Team von Veolia hat uns aber sehr gut unterstützt, und unsere Modelle werden zurzeit anhand der aufgenommenen Daten trainiert.
Andere Länder, andere Müllzusammensetzungen: Konnten Sie bereits Erfahrungen mit Ihrer Sortiertechnologie außerhalb der EU sammeln?
Golomb: Abfall ist sehr regional. So können selbst zwischen europäischen Ländern die Abfälle sehr unterschiedlich sein und sich im Laufe des Jahres und der Jahreszeiten ändern. Zum Beispiel können sie um Weihnachten oder Karneval andere Arten von Abfall erwarten als im Sommer. Darauf passen wir unsere Modelle an. Jede unserer rund 45 Installationen weltweit bringt uns dabei stetig neue Daten und Informationen, die den Einstieg in neue Märkte erleichtern. Dadurch konnten wir in diesem Jahr MSS als Partner in den USA gewinnen. Unsere ersten Installationen laufen jetzt dort an, mit erfreulicherweise sehr positiven Rückmeldungen.
Wie können ungenutzte Potenziale durch den Einsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz dazu beitragen, die Recyclingquote bei Kunststoffen künftig weiter zu erhöhen?
Golomb: Der Einsatz von KI in der Entsorgung ist zwar relativ neu, aber mit zunehmender Reife und breiterer Anwendung erwarten wir, dass diese Technologie in den Sortieranlagen der Zukunft fest mit eingeplant wird. Dies ermöglicht es, den Einsatz von KI und Robotiksortierung an idealen Stellen im Abfallstrom zu planen und einzusetzen, was zu einer Materialsortierung mit höheren Reinheitsgraden und letztendlich zu einer rentableren Sortierung führen würde. Auch eine Kooperation mit Verpackungsherstellern, um eine effiziente Erkennung von Materialien zu ermöglichen, kann die Recyclingquote erhöhen – wir sind gespannt und blicken zuversichtlich in die Zukunft.
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